Die Chefin
Beatrice Mock vom Verein Schlofftheater in Rorschach
Seit über 300 Jahren steht die stilvolle Kapelle von Wilen-Wartegg leicht versetzt von der Durchgangsstrasse, auf nord-östlichem Gemeindegebiet von Rorschacherberg. Das eher unscheinbare Erscheinungsbild trügt, denn dieses Gotteshaus und das dazu gehörende Schloss spielten in der neuzeitlichen europäischen Geschichte eine bemerkenswerte Rolle.
Rorschacherberg Die Grundsteinlegung erfolgte am Samstag, 29. Mai 1706 und Bauherr war Fidel Freiherr von Thurn und Valsassina. Ganz im üppigen Stil des Barocks liess sich der Baron mit weiteren Titeln anreden: «Seine Exzellenz, Freiherr von Thurn und Valsassina, Herr zu Berg, Eppenberg, Bichwil, Wartegg und Biselbach, Ritter von Calatrava und San Marco, der Römisch Kaiserlichen und Königlichen Majestät wirklicher Ober Österreichischer Geheimer Rat und Hochfürstlicher Sankt Gallischer Erbmarschall und Erster Minister».
Seine Ehegattin war ein wenig bescheidener. Sie nannte sich lediglich: «Ihre Exzellenz, Frei-Reichs-Hochwohlgeborene Frau Maria Clara Eva Eleonora Freifrau von Thurn und Valsassina, geborene Freifrau von Heidenheim, kaiserliche Kreuz-Stern-Ordensdame».
Der Konstanzer Bischof Konrad Ferdinand Geist von Wildegg weihte am Mittwoch, 21. September 1707 die Kapelle ein zu Ehren der Gottesmutter von Loretto. Ursprünglich als Barockgebäude erbaut, wurde die Kirche aber bereits 166 Jahre später im nüchternen Neuromanik-Stil restauriert.
Die Familie von Thurn stellte ihre Frömmigkeit, ganz im Sinne des damaligen Zeitgeistes, öffentlich zur Schau, denn der erste Kaplan auf Wilen-Wartegg hatte die Verpflichtung, täglich die Messe zu lesen und sie dreimal wöchentlich dem Schlossherrn und dessen Familie zu widmen.
Mit Graf Anton von Thurn und Valsassina stirbt 1846 die Wartegger Linie der Stifterfamilie aus. Es folgen diverse Besitzerwechsel bis 1860 die letzte aus dem französischen Königshaus der Bourbonen, Herzogin Louise-Marie-Thérèse, als exilierte Regentin von Parma mit ihrer Familie in Wartegg einzieht. Ihr Sohn, Herzog Robert I., der Vater Zitas, der letzten Kaiserin der Donau-Monarchie, lässt die Kapelle umbauen und erweitern.
Herzog Robert I. von Bourbon-Parma zeugte in zwei Ehen 24 Nachkommen, wovon zwei seiner Töchter im Kirchenschiff vor dem Altar zur letzten Ruhe gebettet sind. Sie sind Geschwister der letzten Monarchin Österreich-Ungarns:
Prinzessin Maria Pia von Bourbon-Parma
*Dienstag, 9. Oktober 1877,
†Freitag, 29. Januar 1915
Prinzessin Isabella Maria Anna von Bourbon-Parma
*Dienstag, 14. Juni 1898,
†Samstag, 28. Juli 1984
Beim südlichen Seiteneingang zur Kapelle befindet sich die Grabstätte eines weiteren bekannten Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um:
Baron Robert Lucas Pearsall of Willsbridge
*Samstag, 14. Mai 1795,
†Dienstag, 5. August 1856
Er war Besitzer des naheliegenden Schlosses Wartensee, katholischer Kirchenmusiker, Komponist und Ritter des Ordens St.Johann von Jerusalem. Sein wohl erhaltener Leichnam wurde am 21. Dezember 1957 von der Burgkapelle des Schlosses Wartensee nach Wilen-Wartegg zur endgültigen Ruhestätte umgebettet.
Der rege, vielfältige Bezug des Hauses Bourbon zu Schloss und Kapelle Wartegg, wird augenscheinlich durch das dargestellte Wappen
mit Lilien beim Seiteneingang zur Kapelle.
Schloss und Kapelle Wartegg waren ab der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges wiederholt Zufluchtsort und Treffpunkt von Vertretern des europäischen Hochadels, zum Beispiel:
Marquis de Bombelles, Diplomat, Bischof und Geheimagent von König Ludwig XVI.
Baronesse Angélique de Mackau, Gouvernante der königlichen Kinder
Antoine Leclerc de Juigné, Erzbischof von Paris
Comte de Chambord, bourbonischer Kronprätendent
Karl I. Franz von Habsburg-Lothringen, letzter Kaiser von Österreich, König von Ungarn, Böhmen, Kroatien, und weitere.
Zita von Bourbon-Parma, Gattin Karls I. mit den erzherzoglichen Kindern.
Aus Platzgründen ist eine lückenlose Auflistung der prominenten Exilanten nicht möglich.Wilen-War
tegg heute
Noch immer werden in Wilen-Wartegg alljährlich einige Messfeiern abgehalten und das Kaplanei-Gebäude wird gelegentlich für ökumenische Treffen und Anlässe benützt. Gastrecht geniesst auch die «Missão Católica de Língua Portuguesa», für ihre stimmungsvolle Lichter-Prozession zu Ehren der Madonna von Fatima.
Von Erich Imboden.
Verdienste von Arthur Kobler
Dass die eindrucksvolle Geschichte von Kapelle und Schloss Wartegg bis in die Gegenwart und hoffentlich noch länger erhalten bleibt, ist das Verdienst von Arthur Kobler. Er war der zweitletzte von insgesamt 25 Priestern, welche hier gewirkt haben.
Kaplan Kobler war bekannt als volksnaher, beliebter Seelsorger, aber nicht nur. Er war zudem ein emsiger Erforscher der historischen Vergangenheit von Schloss und Kapelle Wilen-Wartegg. Für die geschichtliche Spurensuche knüpfte er rege Kontakte zu den bedeutenden Adelsfamilien und ehemaligen Herrscherhäusern Europas, wie den Bourbonen, Habsburgern, Wittelsbachern und anderen.
Zita, die letzte Kaiserin Österreichs, besuchte noch gegen Ende des 20. Jahrhunderts Gottesdienste Arthur Koblers in Wilen-Wartegg und überliess dem Museum im Kornhaus eine wertvolle Sammlung au dem Besitz der Familie Bourbon und Habsburg-Lothringen.
Für seine Verdienste zur Erklärung und Erforschung der regionalen Geschichte wurde Arthur Kobler von der Gemeinde Rorschacherberg mit dem Ehrenbürgerrecht ausgezeichnet.
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