Die Chefin
Beatrice Mock vom Verein Schlofftheater in Rorschach
Sie verzaubern die Menschen mit ihren aussergewöhnlichen Farben und Mustern und ihren zerbrechlichen Flügeln: Schmetterlinge sind wunderschön, aber vom Aussterben bedroht. Dagegen kämpft Ramona Fiore Fehr aus Grub – sie sammelt Eier und Raupen und zieht sie gross.
Porträt Ein kleiner Brunnen plätschert, Bienen summen und in der Ferne erklingen Kuhglocken. Die Sonne scheint und ihr Licht flutet die unzähligen Blumen, deren Duft die Luft erfüllt. Doch der Garten von Ramona Fiore Fehr aus Grub SG ist viel mehr als eine Blumenwiese: Hier stehen Brennnesseln, Malven, Blutweideriche und Geissblätter, dort wiegen Labkräuter, Weidenröschen und Skabiosen im Wind hin und her. Doch der 39-jährigen Mutter dreier Kinder geht es in erster Linie nicht um die Pflanzen, sondern um die Geschöpfe, die sich davon ernähren. Vor sechs Jahren wurde sie vom Raupenfieber gepackt und befasst sich seither in jeder freien Minute mit den interessanten Tieren.
Ihre Leidenschaft für die bunten Insekten verdankt sie ihren Kindern. 2017 beobachteten sie in ihrem Garten Raupen und weckten dadurch das Interesse ihrer Mutter. «Mit Raupen des Schwalbenschwanzes hat alles begonnen», erinnert sich Fiore, «schnell wollte ich immer mehr über die filigranen Tiere erfahren und häufte Wissen an.» Schon länger legt sie grossen Wert auf einen naturnahen Garten, der viele einheimische Pflanzen beherbergt und scheinbar eine einladende Wirkung auf Schmetterlinge hat. «Die Tiere kommen von selbst und legen ihre Eier ab», erzählt die Gruberin. Deshalb sei sie auch keine Züchterin im klassischen Sinn. Sie kontrolliere lediglich abends die Pflanzen, nehme die Eier und bringe sie in einem geschützten Netz unter. Geschützt vor Fressfeinden füttert sie die Tiere, bis sie sich verpuppen und entlässt sie dann in die Freiheit.
«Viele einheimische Tagfalter sind heute aus ihren angestammten Lebensräumen verschwunden oder so stark dezimiert, dass ihr Überleben fraglich erscheint», weiss Fiore. Von den heute 226 dokumentierten einheimischen Tagfaltern gelten 78 Arten als gefährdet und 44 als potenziell gefährdet. Für die 3420 Arten verschiedener Nachtfalter gebe es keine Rote Liste. «Wir haben es in 30 Jahren geschafft, in verschiedenen Gebieten die Insektenpopulation um bis zu 75 Prozent zu dezimieren», erklärt die gebürtige Rheintalerin. Gründe dafür seien in der Intensivierung der Landwirtschaft, der steigenden Zahl an neu entstehenden Siedlungen oder im Pflanzenschutzmitteleinsatz zu finden. Aber auch die weltweit zunehmende Lichtverschmutzung führe dazu, dass Millionen Insekten ihr Leben in einer einzigen Sommernacht an Lampen lassen. Statt als Oasen der biologischen Vielfalt in der heute stark verarmten Kulturlandschaft zu fungieren, eignen sich viele häufig steril gestaltete Privatgärten nur eingeschränkt als Lebensraum für Insekten. «Viele Schmetterlingsarten überwintern als Raupe oder Ei an Pflanzen», sagt die 39-Jährige, «wenn wir im Herbst alle fein säuberlich schneiden, kann nur ein kleiner Teil der Raupen und Eier überhaupt überleben.»
Für die Pflege der Tiere braucht es ein Aerarium und genug Futter. Ersteres ist ein Netzbehälter, durch dessen feinmaschiges Netz keine Schlupfwespen, Parasiten oder Fressfeinde wie Vögel, Igel und Mäuse an die Raupen kommen. Letzteres findet sie mehrheitlich in ihrem Garten. Es sei zeitintensiv: «An manchen Tagen verbringe ich zwei Stunden mit der Futterbeschaffung, dem Ausmisten und der Raupenpflege», offenbart die Gruberin. Da Fiore selbst gefundene Eier und Raupen aufzieht, beherbergt sie keine Exoten in ihrer Sammlung. Umso mehr erfreut sie sich über Landkärtchen, Trauermantel und grosse Schiller-falter ebenso wie über Taubenschwänzchen, Hummelschwärmer und Totenkopfschwärmer. «Jede Art ist etwas ganz Besonderes und jede Art hat ihre Eigenheiten», sagt sie. Regional gäbe es kaum gefährliche Arten wie die haarigen Eichenprozessionsspinner. Doch Raupen des Grossen Gabelschwanzes können Ameisensäure aus einer Drüse am unteren Kopf bis zu 30 Zentimeter weit spritzen.
Wenige Tage nach der Eiablage frisst sich die Raupe mit ihren scherenähnlichen Kiefern einen Weg aus dem Ei. Das Raupenstadium macht einen Grossteil des Schmetterlingslebens aus. Die meisten Raupen fressen zuerst die Eihülle, bevor sie sich über die Blätter ihrer Futterpflanze hermachen. Sie brauchen ein Polster für die Zeit der Verpuppung. Wenn die Raupe grösser und dicker wird, häutet sie sich innert zwei Wochen bis zu viermal. Voll ausgewachsen beginnt die Raupe ihre Umwandlung in einen Schmetterling. Sie wandert zu einem ruhig gelegenen und geschützten Platz, hängt sich dort mit einem kleinen Seidenpolster fest, häutet sich ein letztes Mal und zum Vorschein kommt eine hellgrüne Hülle. Die Raupe ist zur Puppe geworden. In diesem Stadium geschieht nun das eigentliche Wunder, die Metamorphose, die Umwandlung der Raupe zu einem wunderschönen Schmetterling. Hormonelle Veränderungen lösen das bestehende Gewebe und bilden seine endgültige Form aus. «Manche Arten schaffen diese Verwandlung in einigen Tagen, andere brauchen Jahre dafür», weiss Fiore. Nachdem die Flügel nach einigen Stunden hart und tragfähig sind, kann der Falter seinen Jungfernflug unternehmen. Im Gegensatz zur Raupe besitzt er keine zum Beissen geeignete Mundwerkzeuge und ernährt sich nicht von Blättern. Stattdessen saugt er mit Hilfe eines einrollbaren, dünnen Rüssels Nektar aus Blüten.
Ob die Zucht sinnvoll ist oder nicht, möchte die Naturliebhaberin nicht entscheiden. Schmetterlinge und Raupen zu schützen ist ihr wichtig, weil sie faszinierende und wunderschöne Tiere seien. Deshalb gehe sie mit ihren Raupen in Schulen, berate Lehrpersonen und kläre Kinder über die Insekten auf. So oder so sei es wichtig, sich über die Tiere, ihre natürliche Umgebung und ihre Bedürfnisse zu informieren. «Wer wie ich Raupen sammelt, darf nie alle Raupen aus der Natur nehmen», sagt die 39-Jährige, «und geschützte Arten sind tabu.» Es stimme sie traurig, dass es in der Schweiz einfacher ist, einen Olivenbaum oder eine Thuja zu kaufen als einheimische Bäume, Sträucher und Blumen, die eine sinnvolle Funktion hätten. «Schon vor 200 Millionen Jahren flogen Schmetterlinge durch die Lüfte. Es wäre tragisch, wenn wir Schuld daran hätten, wenn diese wichtigen Bestäuber ausgerottet werden», resümiert Fiore.
Von Benjamin Schmid.
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