Dominik Gemperli
über den aktuellen Stand des Gmünderhauses in Goldach
Bei den Sozialen Diensten Vorderland haben zwei zentrale Mitarbeitende überraschend ihr Amt niedergelegt. Zunächst wurde über die Gründe geschwiegen. Jetzt spricht Präsidentin Enza Welz erstmals über ihre Entscheidung und die Hintergründe ihres Rücktritts.
Vorderland Bei den Sozialen Diensten Vorderland (SDV) herrscht Chaos. Präsidentin Enza Welz hat nach vier Jahren im Vorstand und zwei Jahren an der Spitze überraschend ihr Amt niedergelegt. Über die Gründe schwieg Welz – bis jetzt. Nun erläutert sie ihre Beweggründe und hält sich mit Kritik nicht zurück.
Dem Artikel vorausgegangen ist die versuchte Kontaktaufnahme per Telefon – ohne Erfolg. Auf eine Mail der Bodensee Nachrichten antwortete Welz dann doch – und zwar emotional. «Dieser abrupte Abgang macht mir sehr zu schaffen», schreibt die Vize-Gemeindepräsidentin der Gemeinde Wald. Sie könne deshalb die Fragen der Bodensee Nachrichten, angesichts der Umstände, nur schriftlich beantworten. Und dies tat Welz dann auch.
Im Mail ging die grundlegende Frage, warum sie ihr Mandat hingeschmissen habe, voraus. Welz antwortete darauf: «Die fortwährende negative politische Einflussnahme, deren fehlende Unterstützung und vor allem die Indiskretionen, waren absolut unhaltbar und wurden für mich zu einer – nach reiflicher Überlegung – unlösbaren Situation.» Hinzugekommen sei das seit langer Zeit angespannte Verhältnis zwischen dem Sozialamt Heiden-Grub-Rehetobel und den Mitarbeitenden der SDV. «Das ist für den Vertrauensaufbau und die Qualitätssicherung alles andere als förderlich», so Welz.
Die Sozialen Dienste Vorderland führen im Auftrag der Gemeinden Grub, Heiden, Lutzenberg, Rehetobel, Reute, Wald, Walzenhausen und Wolfhalden die Regionale Berufsbeistandschaft, die Betreuung der privaten Beistandspersonen, die freiwillige Sozialberatung, die Alimentenhilfe sowie die Asylbetreuung. Der Rücktritt von Welz und Geschäftsstellenleiter Patrick Nauer trifft die Organisation in einer ohnehin schon angespannten Phase. Denn der Fachkräftemangel bei der Berufsbeistandschaft sowie die zunehmende Fallbelastung ist für Mitarbeitende enorm.
Doch auf die Frage, ob sie sich mit den Herausforderungen allein gelassen gefühlt habe, antwortet Welz: «Nein, der Fachkräftemangel bei der Berufsbeistandschaft und die zunehmende Fallbelastung herrscht schweizweit und ist leider nicht nur regional eine grosse Herausforderung.» Welz verweist dabei auf Zahlen von Diana Wider, Generalsekretärin der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz, Kokes: Rund 700 Vollzeitstellen fehlen Ende September schweizweit oder etwa 30 Prozent mehr Beistände als aktuell im Einsatz sind.
Dennoch schreibt Welz von schwierigen Zeiten bei den SDV. Laut Welz wirkten sich die hohen Belastungen auf die interne Zusammenarbeit aus, was zu Konflikten führte. «Der Umgang mit den verschiedenen 'Hüten' im Vorstand, also zwischen Vorstandsmitgliedern und Gemeindevertretern, ist nicht allen gleich gut gelungen.»
Ist Welz' Rücktritt also ein Symptom von tieferliegenden strukturellen Problemen – etwa in der Zusammenarbeit zwischen SDV, Gemeinden und Kanton? «Das könnte ein Bestandteil der Verarbeitung sein», schreibt Welz als Antwort auf die Frage.
In Welz' Zeilen wird die emotionale Belastung, die das Amt mit sich brachte, deutlich. Vor allem dann, wenn es um die Mitarbeitenden geht, die in einer ohnehin schwierigen Situation eigentlich Stabilität und Führung bräuchten: «Diese Frage beschäftigt mich am meisten und macht mir sehr zu schaffen! Ich muss aber auf meine Kräfte achtgeben und trage Gott sei Dank nicht die alleinige Verantwortung für die jetzige Situation.»
Zum Abschluss richtet Welz in der Mail einen Appell an die Zukunft der Organisation, den Vorstand und die politischen Entscheidungsträger: «Ich hätte mir gewünscht, dass das Credo 2024+ der Sozialen Dienste Vorderland gelebt worden wäre: zueinander, miteinander, füreinander.»
Das Chaos erreichte letztendlich auch den Kanton. Regierungsrat Yves Noël Balmer, Vorsteher des Departements Gesundheit und Soziales, sagte am vergangenen Freitaggegenüber dem Tagblatt: «Ich bin besorgt über die Funktionsfähigkeit dieser Behörde. Die SDV sind für die professionelle Betreuung der Menschen zentral. Darum gilt es nun, die Ratschläge des Kantons umzusetzen.»
Bereits vor dem schriftlichen Austausch zwischen Enza Welz und den Bodensee Nachrichten wendete sich der Vorstand an die Medien und berichtete in einer Medienmitteilung darüber, dass sie Enza Welz und Patrick Nauer sich entschieden haben, die SDV zu verlassen. In der Medienmitteilung vom vergangenen Freitag hiess es: «Der Vorstand hat an seiner Sitzung vom 1. Oktober das weitere Vorgehen festgelegt und setzt alles daran, die Angebote weiter sicherzustellen.»
Die operative Führung werde interimistisch geregelt, der strukturierte Nachfolgeprozess sei aufgenommen.«Priorität haben Stabilität im Tagesgeschäft sowie eine zügige und sorgfältige Lösung, welche die Qualität und Verlässlichkeit der SDV nachhaltig stärkt», wird in der Mitteilung weiter festgehalten. Die SDV würden hierzu eng mit den Gemeinden des Vorderlandes und dem Kanton zusammenarbeiten.
Rückfragen sind gemäss der Medienmitteilung an Robert Diethelm, Vorstandsmitglied SDV und Gemeindepräsident Heiden, zu richten. Auf Anfrage sagt Diethelm, dass die Besorgnis des Kantons ernst genommen werde. «Der Vorstand arbeitet eng mit Kanton und Gemeinden zusammen. Konkrete Aussagen sind im Moment noch nicht spruchreif», so Diethelm. Der Fokus liege auf Stabilität und Verlässlichkeit, einschliesslich Regelung der Führung, Nachfolgeplanung sowie Begleitung und direkter Unterstützung der Mitarbeitenden.
Von Marino Walser
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