Der Chef und die Chefin
Nadja und Pascal Montagner von Underwater University
Am 26. November 2023 stimmt der Kanton Appenzell Ausserrhoden über die künftigen Strukturen und eine etwaige Zusammenlegung auf drei bis fünf Gemeinden ab. Es stehen zwei Varianten zur Auswahl: Ein Gegenvorschlag und eine Eventualvorlage. Werden beide Vorlagen abgelehnt, bleibt vorderhand alles beim Alten.
Appenzell Ausserrhoden Der Kanton besteht heuer aus den 20 Gemeinden Urnäsch, Herisau, Schwellbrunn, Hundwil, Stein, Schönengrund, Waldstatt, Teufen, Bühler, Gais, Speicher, Trogen, Rehetobel, Wald, Grub, Heiden, Wolfhalden, Lutzenberg, Walzenhausen und Reute. Sollen diese zu drei bis fünf Kommunen zusammengefasst werden? Am 26. November wird über die künftige Gemeindestruktur im Kanton abgestimmt. Die beiden
Varianten «Gegenvorschlag» und «Eventualvorlage» werden im Folgenden kurz vorgestellt und Stimmen aus Gemeinden und IGs kommen zu Wort. Werden beide Vorlagen abgelehnt, bleibt vorderhand alles wie bisher.
Alle Informationen zum Urnengang sind auf der Website von Appenzell Ausserrhoden unter www.ar.ch/gemeindestruktur abrufbar.
Beim Gegenvorschlag entwickeln Gemeinden und Kanton gemeinsam und unter kantonaler Federführung neue Gemeindestrukturen. Ziel ist, aus den heute zwanzig Gemeinden drei bis fünf Gemeinden zu schaffen und Kräfte zu bündeln, wo es sinnvoll ist.
Bei der Eventualvorlage werden gesetzliche Voraussetzungen geschaffen, damit Gemeinden fusionieren können – ohne konkreten Auftrag. Die Initiative für Fusionen müsste von den Gemeinden selber kommen.
Der Verein Appenzellerland über dem Bodensee (AüB) organisierte am Donnerstag, 19. Oktober 2023 in der MZH Walzenhausen einen Informationsanlass zu den Gemeindestrukturen.
Regierungsrätin Katrin Alder informierte als erstes über die Vorlage mit Eventualantrag und den Gegenvorschlag, die Meilensteine von Volksinitiative «Starke Ausserrhoder Gemeinden» über Vernehmlassung bis zu den Debatten im Kantonsrat und die Abstimmungsmöglichkeiten mit Stichfrage. Für die Regierung sei nach der Staatsleitungsreform und der Kantonsratsgesetzgebung klar, dass jetzt die Strukturen der Gemeinden angegangen werden müssen. Zusammen mit Regierungsratskollege Hansueli Reutegger warb sie mit Herzblut für den Gegenvorschlag mit künftig drei bis fünf Gemeinden.
Die Gemeindepräsidenten Rudolf Gantenbein aus Lutzenberg, Urs Rohner aus Rehetobel und Gino Pauletti aus Wolfhalden äusserten sich danach pointiert über die aktuellen Herausforderungen mit Fachkräftemangel, den veränderten Bedürfnissen der Bevölkerung und die Zusammenarbeitsformen zwischen den Gemeinden. Dabei wurde betont, dass eine Verwaltungszusammenlegung durchaus Sinn macht. Ob eine Fusion zu drei bis fünf Gemeinden der richtige Weg ist, wurde zumindest teilweise offengelassen. Für die anwesenden Gemeindepräsidenten ist es wichtig, dass im Anschluss der Abstimmung die offenen Fragen geklärt und der Prozess rasch gestartet wird.
Auf Nachfrage äusserte Gino Pauletti, Gemeindepräsident, sich stellvertretend folgendermassen für die Gemeinde Wolfhalden: «Der Gemeinderat Wolfhalden ist nicht grundsätzlich gegen Fusionen. Beim Gegenvorschlag der Regierung werden erst bei Annahme alle Schritte gemeinsam ausgearbeitet. Viele Fragen bleiben zum jetzigen Zeitpunkt vom Regierungsrat unbeantwortet. Nur einige Beispiele: Wer finanziert die ganze Fusion? Der Kanton rechnet 2024 mit einem Defizit von zehn Millionen. Wer übernimmt die Schulden von den Gemeinden, damit alle die gleiche Ausgangslage haben? Bei einer Gemeinde Vorderland müsste aus meiner Sicht ein Parlament mit neuem Wahlsystem gebildet werden. Sollte neu im Proporz gewählt werden, hätten die zusammengeschlossenen Gemeinden keine Garantie mehr, dass ihre Gemeinde im Kantonsrat vertreten wäre. Wer mit wem fusioniert ist aus meiner Sicht zweitrangig, ebenso ob drei oder fünf Gemeinden. Wichtig wäre, dass bereits im Vorfeld klar ist, über was wir abstimmen und nicht erst nach Annahme der Vorlage. Die Stimmbürger müssen sich eine Meinung bilden können. Dies geht nur mit Klarheit und Fakten! Sonst kaufen wir die Katze im Sack. Ein Beispiel dafür ist das Raumplanungsgesetz, das 2013 vom Stimmvolk auf eidgenössischer Ebene angenommen und erst nach Annahme die weiteren Schritte ausgearbeitet wurden. Ich behaupte, dass zum heutigen Zeitpunkt das damalige Raumplanungsgesetz keine Mehrheit mehr fände. Darum Nein zum Gegenvorschlag der Regierung, aber mit voller Überzeugung 2x Ja zum Eventualantrag.»
Auch Heiden wurde um eine Stellungnahme gebeten. Der Gemeinderat Heiden entschied sich jedoch, wie Gemeindepräsident Robert Diethelm erklärte, aus folgendem Grund dazu, in dieser Vorlage keine Stellungnahme abzugeben: «Die Abstimmung über die künftige Gemeindestruktur im Kanton ist bedeutend, legt sie doch fest, wie das Zusammenleben in den Gemeinden künftig ausgestaltet werden soll. Im Kern geht es darum, wie sich das Gemeinwesen in Zukunft selbst organisieren und Entscheidungen fällen will. Dies ist eine wichtige Frage, die jede Bürgerin und jeder Bürger für sich selbst beantworten muss.» Der Gemeinderat folgt damit den Gepflogenheiten, sich nicht in Abstimmungskampagnen anderer staatlicher Ebenen einzubringen. Für den Gemeinderat ist allerdings zentral, dass die Entscheidungsfindung für Bürgerinnen und Bürger in der Gemeinde direkt ermöglicht wird. Er ist deshalb froh, dass ein überparteiliches Komitee ein öffentliches Podiumsgespräch organisierte. Dieses fand am Dienstag, 7. November im Kursaal in Heiden statt. Ebenso wurde in der jüngsten Ausgabe des «Aufwind», dem Mitteilungsblatt der Gemeinde, auf die Struktur der Abstimmung und die Bedeutung der Stichfrage hingewiesen.
Bei einer Annahme des Gegenvorschlags würden die Gemeinden und der Kanton gemeinsam und unter kantonaler Federführung neue Gemeindestrukturen entwickeln – Die Fusion wäre sozusagen erzwungen. Diese «Zwangsheiraten» bräuche es nicht, vielmehr brauche es «Vernunftsheiraten», so Jakob «Köbi» Frei. Der Alt-Regierungsrat des Kantons Appenzell Ausserrhoden ist Mitglied in der «IG Selbstbestimmte Gemeinden» und nahm für diese folgendermassen Stellung: «Unsere 20 Gemeinden mit ihren sehr unterschiedlichen Identitäten machen seit mehreren Jahrhunderten unseren Kanton Appenzell Ausserrhoden aus. Die Autonomie der Gemeinden ist gemäss aktueller Kantonsverfassung zu gewährleisten. Im Falle einer allfälligen Überforderung zur Erfüllung einer Aufgabe könnte der Regierungsrat bereits heute zwei oder mehrere Gemeinden zur Zusammenarbeit verpflichten. Mir ist kein aktueller Fall bekannt, in welchem der Regierungsrat wegen einer Überforderung einschreiten musste. Trotzdem begründet der Regierungsrat seinen radikalen Ansatz zur Zusammenlegung aller 20 Gemeinden zu drei bis fünf neuen Gebilden unter anderem mit einer Überforderung in den Gemeinden. Die immer wieder ins Feld geführte Überforderung ist aus meiner Sicht ein Vorwand um einen zentralistisch geführten Kanton 'von oben herab' neu zu formen. Dies ohne Rücksicht auf die Zustimmung der Stimmberechtigten jeder der beteiligten 20 Gemeinden. Im Verfassungsentwurf, welchen der Regierungsrat bereits an den Kantonsrat überwiesen hat, gibt der neue Artikel 122 den richtigen Weg vor. Bestand und Gebiet der Gemeinden werden auf Verfassungsstufe gewährleistet. Bestandes- und Gebietsänderungen bedürfen der Zustimmung der Stimmberechtigten jeder beteiligten Gemeinde und des Kantons. Der Kanton soll zweckmässige Fusionen fördern, entsprechende Bestrebungen administrativ und finanziell unterstützen. Der Eventualantrag nimmt diesen Grundsatz im Wesentlichen auf. Es braucht keine Zwangsheiraten, vielmehr sind Vernunftsheiraten zu fördern.»
Von Eingesandt und Claudia Eugster.
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